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Verweisung auf neue Tätigkeit und Bemessung der Lebensstellung

OLG Köln, Az.: I-20 U 127/10, Urteil vom 22.07.2011

Auf die Berufung des Klägers wird das am 18. August 2010 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 26 O 231/09 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger 24.871,27 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.165,67 € seit dem 31. Juli 2009 bis zum 01. Mai 2011 und aus 24.871,27 € seit dem 02. Mai 2011.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger jeweils zum Monatsersten beginnend am 01. Juni 2011 und längstens bis zum 01. Dezember 2036 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 766,94 € zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte keinen Anspruch gegen den Kläger auf Zahlung monatlicher Versicherungsbeiträge für die Zeit vom 01. Juni bis 01. Dezember 2011 aus der bei ihr genommenen Berufsunfähigkeitsversicherung (Versicherungsnummer 830xxxx) hat.

Verweisung auf neue Tätigkeit und Bemessung der LebensstellungDie Beklagte wird weiterhin verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,19 € zu zahlen.

Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger kapitalisierte Zinsen in Höhe von 974,95 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der 1976 geborene Kläger ist vormaliger Berufshandballspieler und unterhält bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung. In den Versicherungsvertrag einbezogen waren die AB BV der Beklagten. Im Versicherungsfall sollte der Kläger jeweils zum Monatsersten eine garantierte Rente von 766,94 € (entsprechend einer Jahresleistung von 18.000,00 DM) zuzüglich einer etwaigen Überschussbeteiligung erhalten und von den Versicherungsbeiträgen befreit sein. Die Versicherung begann am 01. Dezember 1998 und läuft mit dem 01. Dezember 2011 ab; für den Fall des Eintritts des Versicherungsfalls sollte die Rentenzahlung indes über das Ende des Versicherungsvertrages hinaus bis einschließlich 01. Dezember 2036 erfolgen.

Anlässlich eines Handballspiels vom 11. November 2000 erlitt der Kläger, der seinerzeit für den in der zweiten Bundesliga spielenden C verpflichtet war, einen knöchernen Bandabriss am Handwurzelknochen seiner Wurfhand. Diese Verletzung bedeutete das Ende seiner Karriere als Berufssportler. Mit Schreiben vom 29. Mai 2002 erkannte die Beklagte das Bestehen der Berufsunfähigkeit an; sie stellte den Versicherungsvertrag beitragsfrei und zahlte eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von zuletzt 827,92 € monatlich. Nach Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 12. November 2008 mit, sie werde ihre Leistungen zum 01. Januar 2009 einstellen; die Prämienzahlung sei wieder aufzunehmen. Zur Begründung stellte sie darauf ab, dass der Kläger zwischenzeitlich ein Fachhochschulstudium als Diplom-Wirtschaftsingenieur abgeschlossen und eine Anstellung gefunden habe, die seine wirtschaftliche und soziale Lebensstellung wahre, sodass er auf den neuen Beruf verweisbar sei.

Der Kläger hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, eine Verweisbarkeit sei nicht gegeben, weil die Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur seinem früheren Beruf als Handballspieler in der zweiten Bundesliga nicht entspreche. Als Berufssportler habe er zuletzt 4.500,– DM netto verdient, hierfür allerdings im Durchschnitt nur elf Wochenstunden aufgewendet. Sein jetziges Nettoeinkommen betrage 2.050,– € bei einer Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden. Zudem entspreche der soziale Status seiner nunmehrigen Tätigkeit dem eines Bundesligahandballspielers nicht. Mit seiner Klage hat er in erster Instanz eine Rentenzahlung und die Beitragsrückerstattung für die Monate Januar bis Juni 2009 nebst ihm vorprozessual entstandener Rechtsanwaltskosten verlangt.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.584,86 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.65,67 € seit dem 31. Juli 2009.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich zu Arbeitszeit und Verdienst des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls mit Nichtwissen erklärt. Ohnehin seien aber nicht die jeweiligen Netto-, sondern die Bruttoeinkommen der früheren und der jetzigen Tätigkeit miteinander zu vergleichen. Das nunmehrige Bruttoeinkommen unterschreite die früher von dem Kläger als Berufssportler erzielten Bruttoeinkünfte kaum. Es bestünden damit keine Zweifel an der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit der früheren und der jetzigen Tätigkeit des Klägers, und auch die soziale Wertschätzung beider Lebensstellungen sei vergleichbar. Der Kläger sei während seiner aktiven Laufbahn ein wenig bekannter Sportler gewesen. Hinzu komme, dass das Berufsbild des Klägers im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nicht an dem eines reinen Berufssportlers zu orientieren sei, schon weil er – was zwischen den Parteien unstreitig ist – neben seiner Verpflichtung beim C auch studiert habe. Vor diesem Hintergrund müsse für den Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit ein komplexes Berufsbild angenommen werden, das neben dem sportlichen Engagement ergänzend von Schreibtischtätigkeiten geprägt gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Es hat ausgeführt, ein Vergleich des früheren mit dem jetzigen Einkommen deute nicht auf relevante Einkommenseinbußen hin. Auch die soziale Wertschätzung stelle sich als vergleichbar dar. Weil das Vertragsende nahe gelegen habe, sei zudem das Berufsbild eines professionellen Handballspielers für den Versicherungsvertrag nicht dauerhaft prägend gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und erneut betont, von einer erheblichen Einkommenseinbuße sei jedenfalls deshalb auszugehen, weil er bei deutlich höherer Arbeitszeit weniger verdiene.

Der Kläger hat zunächst beantragt, das Urteil abzuändern und nach seinen erstinstanzlichen Schlussanträgen zu entscheiden. Mit Schriftsatz vom 04. Mai 2011 hat der Kläger seine Klage um die bis einschließlich Mai 2011 fällig gewordenen Renten erweitert und zusätzlich die Feststellung der künftigen Rentenzahlungspflicht ebenso wie der Verpflichtung der Beklagten zur künftigen Beitragsbefreiung begehrt.

Der Kläger beantragt nunmehr, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 18. August 2008 – 26 O 231/09 –

I. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.158,95 € zu zahlen;

II. die Beklagte zu verurteilen, an ihn jeweils zum Monatsersten, beginnend am 01. Juni 2011 und längstens bis zum 01. Dezember 2036 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von zur Zeit 827,92 € zu zahlen;

III. festzustellen, dass die Beklagte keinen Anspruch gegen ihn hat auf Zahlung monatlicher Versicherungsbeiträge von 39,63 € für die Zeit vom 01. Juni bis 01. Dezember 2011 aus der bei ihr genommenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Versicherungsnummer 830xxxx);

IV. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.419,19 € zu zahlen;

V. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn Zinsen in folgender Höhe zu zahlen:

a. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.165,67 € seit dem 31. Juli 2009 bis einschließlich 01. Mai 2011;

b. kapitalisierte Zinsen in Höhe von 974,95 €

c. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.158,95 € und aus weiteren 951,12 € jeweils seit dem 02. Mai 2011.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Der Klageerweiterung widerspricht sie und meint, jedenfalls könne der Kläger für die Zukunft nur den garantierten Teil der Berufsunfähigkeitsrente verlangen, weil die Höhe der Überschussbeteiligung noch nicht feststehe. Eine Beitragsrückforderung komme nur in Höhe der unter Anrechnung der Überschüsse tatsächlich gezahlten Nettoprämie in Betracht. Diese belaufe sich auf monatlich 29,71 €.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2011 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Soweit der Kläger seine Klage mit Schriftsatz vom 04. Mai 2011 erweitert hat, folgt die Zulässigkeit dieser Klageänderung aus § 533 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO, weil sie sachdienlich ist und sich alleine auf Vorbringen stützt, das für die Berufungsinstanz ohnehin nach § 529 ZPO zugrundezulegen ist.

Auch in der Sache selbst hat die Berufung überwiegend Erfolg.

Klageantrag zu I.:

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 24.871,27 € (24.009,68 € + 861,59 €), während das weiter gehende Zahlungsbegehren unbegründet ist.

1.

Der Kläger kann gemäß § 1 VVG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 b) AVB BU für die Zeit von Januar 2009 bis einschließlich Mai 2011 Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 827,92 €, insgesamt 24.009,68 €, verlangen. Die Beklagte war nicht berechtigt, mit Ablauf des Jahres 2008 ihre Leistungen einzustellen. Sie kann den Kläger nicht mit Erfolg auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur verweisen.

Allerdings ist die Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 der in den Versicherungsvertrag einbezogenen AB BU nach Anerkennung ihrer Leistungspflicht berechtigt, das Fortbestehen der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nachzuprüfen. Dabei sind neu erworbene berufliche Fähigkeiten zu berücksichtigen. Nach der genannten Regelung in den Versicherungsbedingungen liegt eine weitere Berufsunfähigkeit nicht mehr vor, wenn die versicherte Person auf der Basis der neu erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eine neue berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt, sie diese Tätigkeit aufgrund ihrer gesundheitlichen Verhältnisse auch ausüben kann und die ausgeübte berufliche Tätigkeit ihrer Lebensstellung zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit in dem früheren Beruf entspricht. Das ist der Fall, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und sie auch in ihrer Vergütung ebenso wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufes absinkt (BGH NJW-RR 2003, 383 f.; VersR 1998, 42 f.; VersR 1997, 436). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die frühere Lebensstellung des Klägers mit der Aufnahme seiner Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur nicht gewahrt.

a.

Vor dem Unfall war die Lebensstellung des Klägers allein durch den von ihm ausgeübten Beruf eines professionellen Handballspielers geprägt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ändert daran der Umstand nichts, dass der Kläger die Möglichkeit und die Energie hatte, neben seiner Berufstätigkeit einem Studium nachzugehen. Die Beklagte selbst hat, als sie nach dem Eintritt des Versicherungsfalls mit Schreiben vom 29. Mai 2002 ihre Leistungspflicht anerkannte, dem Kläger ohne Einschränkung das Berufsbild des Bundesligahandballspielers zugeordnet, wie der Kläger selbst es in seinem Leistungsantrag vom 12. November 2001 beschrieben hat. Auch in ihrer vom 12. November 2008 datierenden Einstellungsmitteilung ist die Beklagte von einer Berufsunfähigkeit im Beruf des Bundesligahandballspielers ausgegangen und hat diese Tätigkeit mit dem nunmehr ausgeübten Beruf des Wirtschaftsingenieurs verglichen. Dass die Beklagte bei Abgabe der Erklärung über ihre Leistungspflicht vom Berufsbild des Bundesligahandballspielers ausgegangen ist, hindert sie, sich nunmehr auf das neben der Sportlerlaufbahn betriebene Studium zu berufen.; denn die Beklagte bleibt an die Tatsachen, die sie der Anerkennung der seinerzeitigen Leistungspflicht zugrunde gelegt hat, auch im Nachprüfungsverfahren gebunden, weil Gegenstand der Nachprüfung nur Veränderungen desjenigen Zustands sind, der die Grundlage für die seinerzeitige Anerkennung der Berufsunfähigkeit gebildet hat. Nicht hingegen unterliegt der Nachprüfung ein verglichen mit dem Zeitpunkt des Anerkenntnisses verbesserter Kenntnisstand des Versicherers oder eine veränderte Bewertung der gleichen Situation (Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Auflage, § 13 BU Rdnr. 10; ders. a.a.O., § 174 VVG Rdnr. 3). Hieraus folgt, dass im Nachprüfungsverfahren nicht noch einmal das dem Anerkenntnis zugrundegelegte Berufsbild überprüft werden darf (Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Auflage, Abschnitt L Rdnr. 32). Die Beklagte muss sich auch jetzt daran festhalten lassen, nach Eintritt des Versicherungsfalls den Kläger als im Beruf des Profihandballspielers berufsunfähig anerkannt zu haben.

b.

Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Wirtschaftsingenieur entspricht seiner vormaligen Lebensstellung als Berufssportler nicht. Dabei ist nicht in erster Linie entscheidend, ob schon die relative Prominenz eines Bundesligahandballspielers einer Verweisung auf die derzeit ausgeübte Tätigkeit des Wirtschaftsingenieurs entgegensteht. In der gebotenen Gesamtbetrachtung scheitert die Verweisbarkeit jedenfalls an den dem Kläger entstandenen Einkommenseinbußen.

Der Kläger hat als Handballspieler – neben weiteren Vergünstigungen – ein Nettogehalt von 2.300,81 € (4.500,– DM) bei einer Arbeitszeit von im Durchschnitt elf Wochenstunden verdient. Einkünfte in dieser Höhe stehen ebenso wie die genannten Arbeitszeiten bezogen auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zur Überzeugung des Senats fest.

Bei seiner persönlichen Anhörung hat der Kläger seine Arbeitszeiten anhand eines Trainingsplans des C anschaulich erläutert. Die für die Teilnahme an den Bundesligaspielen und am Training von seinem damaligen Verein empfangenen Gehaltszahlungen hat er anhand einer selbst erstellten Zahlungsübersicht aufgezeigt. Seiner glaubhaften Darstellung zufolge hat der Kläger diese Aufstellung schon während seiner vormaligen Tätigkeit als Handballprofi angefertigt, weil wesentliche Teile des Gehalts in bar und zudem unregelmäßig gezahlt wurden und er nicht den Überblick über noch offenstehende und bereits ausgeglichene Ansprüche verlieren wollte.

Die Angaben des Klägers werden durch die glaubhaften Bekundungen des Zeugen L bestätigt, der als seinerzeitiger Vorsitzender des Fördervereins und nachmaliger Geschäftsführer des C die Arbeitszeiten der im Jahre 2000 für den Verein verpflichteten Spieler durch eine Schilderung der zu absolvierenden Bundesligaspiele, Trainingseinheiten und videounterstützten Taktikbesprechungen plastisch darzustellen vermochte. Der Zeuge hat ausgesagt, dass dem Kläger ein Monatsgehalt von jedenfalls „über 4.000,– DM“ netto gezahlt worden sei, wenngleich er die exakte Summe nicht mehr nennen konnte. Es sei seinerzeit branchenüblich gewesen, mit den Spielern höhere Nettogehälter zu vereinbaren und diese zu einem Bruttogehalt „zu optimieren“. Neben den Gehaltszahlungen sei dem Kläger über einen Sponsor ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt worden; zusätzlich habe es als Belohnung für eine gelungene Saison Reisen für die Mannschaft gegeben. Diese prägnanten Einzelheiten belegen, dass der Zeuge L bei seiner Vernehmung auf eine konkrete Erinnerung an seine Vorsitzendentätigkeit und die dabei ihm zugänglichen Informationen hat zurückgreifen können.

Zwar hat auch der Kläger selbst bei seiner Anhörung eingeräumt, dass ein Teil seines Gehalts „nicht offiziell fließen“ sollte. Für die Bemessung der die Lebensstellung prägenden Einkünfte sind jedoch nicht deshalb Abzüge vom Nettoeinkommen vorzunehmen, weil das Gehalt nicht voll versteuert worden ist. Bei einem selbständigen Erwerbstätigen mögen Schwarzgelder nicht zu dem verfügbaren Einkommen zählen (vgl. OLG Köln – 5. Zivilsenat – VersR 2004, 1587). Der vorliegende Fall ist indes anders gelagert. Der Kläger hat mit der Vereinsführung ein regelmäßiges monatliches Nettogehalt von 4.500,– DM vereinbart und auch tatsächlich bezogen; die Festsetzung des Bruttogehalts sowie die Einbehaltung und Abführung der Einkommensteuer waren allein Angelegenheit des Vereins.

Ausgehend von einem Nettoverdienst des Klägers von 4.500,– DM bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von elf Wochenstunden erzielte der Kläger im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls einen Nettostundenlohn von 52,29 € (2.300,81 € [4.500,– DM] ./. 44 Arbeitsstunden monatlich). Für seine Tätigkeit als Wirtschaftingenieur erhält er demgegenüber nur einen Stundenlohn von im Durchschnitt 13,62 € (2.043,36 € [Nettomonatsgehalt ausweislich der für den Monat Februar 2009 erstellten Verdienstabrechnung] ./. 150 Arbeitsstunden monatlich). Der jeweils erwirtschaftete Stundenlohn ist maßgeblich, weil allein die Gegenüberstellung der Stundenlöhne – nicht aber der Vergleich der absolut erzielten Gehälter unter Außerachtlassen der hierfür aufgewandten Arbeitszeit – eine Aussage über die vormalige und die jetzige Lebensstellung des Klägers ermöglicht. Regelmäßig ist die Lebensstellung eines Versicherten, der mit geringem Arbeits­aufwand hohe Einkünfte erzielt, privilegierter als die desjenigen, der hierfür ein Vielfaches an Arbeitszeit auf sich nehmen muss. Ausgehend von einem Vergleich des im früheren und im jetzigen Beruf erzielten Stundenlohns liegt das bei gleichem Arbeitseinsatz erzielte Einkommen des Klägers um 74 % niedriger als dasjenige bei Eintritt der Berufsunfähigkeit. Ein Einkommensverlust in dieser Höhe – zudem verbunden mit dem Wegfall des auch zur privaten Nutzung freigegebenen Dienstwagens und den vom Verein finanzierten Reisen als Belohnung für eine erfolgreiche Spielsaison – war dem Kläger nicht mehr zumutbar. Allgemein wird bei Einkommenseinbußen von mehr als 30 % eine Ungleichwertigkeit der Lebensstellungen angenommen, die eine Verweisung hindert (Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Auflage, Abschnitt J Rdnr. 13). Die dem Kläger anfallende Einkommenseinbuße übersteigt diesen Satz bei weitem.

c.

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird dieser erhebliche Einkommensverlust nicht dadurch kompensiert, dass der Kläger den im Vergleich zu seiner nunmehrigen Tätigkeit höheren Verdienst als Berufssportler bei gewöhnlichem Lauf der Dinge nicht für die Dauer seines gesamten Lebens hätte erzielen können. Die Lebensstellung des Klägers bei Eintritt der Berufsunfähigkeit beeinflusst dieser Umstand nicht. Bei Versicherten, die in ihrem Beruf eine besonders hohe Vergütung für eine von vornherein absehbare und durch Erreichen einer Altersgrenze beschränkte Zeit erhalten (Berufssportler, Models o.ä.), hängt die Frage, ob das zeitlich begrenzte Spitzeneinkommen oder aber das nach Erreichen der typischen Altersgrenze zu erwartende Einkommen die Lebensstellung des Versicherten bei Eintritt der Berufsunfähigkeit prägt, von den im Einzelfall getroffenen vertraglichen Vereinbarungen ab. Hiernach bleibt das nur für eine begrenzte Zeit erzielbare Spitzeneinkommen für die Lebensstellung des Versicherten insgesamt prägend, wenn sich den vertraglichen Vereinbarungen entnehmen lässt, dass der Versicherer das Risiko der Berufsunfähigkeit auf der Grundlage dieses Einkommens übernommen hat. Die Übernahme des Risikos auf der Grundlage des nur für einen bestimmten Zeitraum erzielbaren Spitzeneinkommens ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertrag eine der erwarteten Altersgrenze für das Ende der Berufsausübung entsprechende zeitliche Limitierung enthält (Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Auflage, § 2 BU Rdnrn. 58 f.; Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Auflage, Abschnitt J Rdnr. 18; Rixecker in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch 2. Auflage, § 46 Rdnr. 113). Weil hier die Vertragslaufzeit auf den 01. Dezember 2011 begrenzt sein sollte, erweist sich der abgeschlossene Versicherungsvertrag als ein auf die speziellen Bedürfnisse von Berufssportlern zugeschnittenes Versicherungsprodukt, mit dem die Beklagte die Berufsunfähigkeit und den daraus resultierenden Verlust des von dem Kläger nur zeitlich begrenzt erzielbaren Spitzeneinkommens als Berufssportler abzudecken versprochen hat. Dieses Datum entspricht dem Erreichen des 35. Lebensjahrs des Klägers und lässt die Berufsunfähigkeitsversicherung damit zu einem Zeitpunkt enden, in dem bei gewöhnlichem Lauf der Dinge, also auch ohne den Eintritt des Versicherungsfalls, mit einer altersbedingten Beendigung der Karriere des Klägers als eines Profihandballers zu rechnen gewesen wäre. Ist allein aufgrund der im Versicherungsvertrag enthaltenen Altersgrenze die Annahme gerechtfertigt, die Beklagte habe als prägend für die Lebensstellung des Klägers dessen Karriere als Berufssportler, nicht aber eine dieser unter Umständen zeitlich nachgehende Tätigkeit, annehmen wollen, so kommt noch hinzu, dass die Beklagte den Kläger gemessen an ihren Risikoprüfungsgrundsätzen in die höchste Risikogruppe eingestuft hat. Auch daraus lässt sich nur der Rückschluss ziehen, dass die Beklagte das – wie von vornherein absehbar war – nur kurzzeitig erzielbare Spitzeneinkommen eines Berufssportlers hat versichern wollen.

d.

Die vom Kläger für die Zeit von Januar 2009 bis einschließlich Mai 2011 verlangte Monatsrente von 827,92 € begegnet auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die in die Berufsunfähigkeitsrente einfließenden Überschussbeteiligungen ihrer Höhe nach nicht garantiert waren, keinen Bedenken. Die Beklagte gesteht in ihrem Schriftsatz vom 11. Mai 2011 für den betroffenen Zeitraum eine entsprechende Rentenhöhe zu. Für den vom Antrag umfassten Zeitraum von 29 Monaten errechnet sich mithin ein Rentenrückstand von 24.009,68 € (29 x 827,92 €).

2.

Daneben schuldet die Beklagte dem Kläger die Rückerstattung überzahlter Versicherungsbeiträge in Höhe von 861,59 € nach § 1 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 AB BV. Mit der Regelung in § 1 Abs. 1 a) AB BV verspricht die Beklagte im Versicherungsfall neben der Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht. In § 1 Abs. 4 AB BV ist jedoch vorgesehen, dass der Versicherungsnehmer bis zur Entscheidung über die Leistungspflicht des Versicherers die Prämien in voller Höhe weiter zu entrichten hat. Zum Ausgleich sieht § 1 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 AB BV einen vertraglichen Rückgewähranspruch für den Fall des Bestehens der Leistungspflicht wegen der über den Leistungsbeginn hinaus gezahlten Prämien vor. Die Voraussetzungen dieses Rückgewähranspruchs sind hier erfüllt. Die Leistungspflicht der Beklagten war – wie ausgeführt – auch nach dem 01. Januar 2009 gegeben. Indes weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Kläger nicht die Rückerstattung der im Versicherungsschein genannten Prämie von 39,63 € verlangen kann, weil er Versicherungsbeiträge in dieser Höhe tatsächlich nicht gezahlt hat. Gezahlt worden vom Kläger sind nach Anrechnung der Gewinne lediglich Versicherungsprämien in Höhe von 29,71 €. Mithin besteht der Anspruch auf Beitragsrückerstattung für die Zeit von Januar 2009 bis Mai 2011 in Höhe von 861,59 € (29 x 29,71 €).

Klageantrag zu II.

Neben den für die Vergangenheit geschuldeten Leistungen hat der Kläger Anspruch auf eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit ab dem 01. Juni 2011 bis längstens zum 01. Dezember 2036, dem vereinbarten Ende der Rentenzahlung im Falle fortbestehender Berufsunfähigkeit. Der Kläger ist im Beruf des Handballspielers weiterhin berufsunfähig und die Beklagte hat sich von ihrer damit bestehenden Leistungspflicht durch die Einstellungsmitteilung vom 12. November 2008 – wie ausgeführt – nicht wirksam gelöst. Die Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente für die Zukunft schuldet sie indes nur in Höhe von 766,94 €. Allein in dieser Höhe ist die monatliche Rentenzahlung garantiert, ohne dass gegenwärtig feststeht, auf welchen Betrag sich zukünftig etwa die rentenerhöhenden Überschussbeteiligungen belaufen werden. Vor diesem Hintergrund kam eine Verurteilung zu zukünftigen und über den garantierten Teil der Rente hinausgehenden Leistungen nicht in Betracht.

Klageantrag zu III.

Der mit dem Klageantrag zu III. verfolgte Feststellungsantrag ist zulässig. Das Begehren des Klägers ist auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet, nämlich des Nichtbestehens der Pflicht, bis zum Vertragsende am 01. Dezember 2011 für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag Versicherungsbeiträge zu zahlen, und stellt somit einen gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässigen Gegenstand einer Feststellungsklage dar. Der Kläger hat auch das erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung. Aufgrund der Einstellungsmitteilung vom 12. November 2008, in der die Beklagte dem Kläger unter anderem mitgeteilt hatte, dass die Prämienzahlung zum 01. Januar 2009 wieder aufzunehmen sei, steht fest, dass die Beklagte die Voraussetzungen einer Beitragsbefreiung bestreitet.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Die Beklagte hat in § 1 Abs. 1 a) AB BV im Falle der – hier fortbestehenden – Berufsunfähigkeit des Klägers die beitrags­freie Fortführung des Versicherungsvertrags versprochen.

Klageantrag zu IV:

Die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in der vom Kläger zutreffend berechneten Höhe von 1.419,19 € schuldet die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 BGB. Mit ihrer unberechtigten Einstellungsmitteilung hat die Beklagte gegen ihre Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verstoßen und den Kläger hierdurch veranlasst, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die ihm zustehenden Versicherungsleistungen auch für die Zukunft zu erhalten. Es reicht die Ankündigung der Erfüllungsverweigerung, um die Ersatzpflicht auszulösen (Palandt/Grüneberg, BGB 70. Auflage, § 280 Rdnr. 25). Die Kosten für die Tätigkeit des mit der Anspruchsdurchsetzung beauftragten Rechtsanwalts sind ersatzfähiger Schaden.

Klageantrag zu V.

Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.165,67 € für den Zeitraum zwischen der Rechtshängigkeit der Klage bis zum 01. Mai 2011 und aus 24.871,27 € für die Zeit ab dem 02. Mai 2011 schuldet die Beklagte gemäß §§ 286, 288 Abs. 1, 291 BGB aus dem Gesichtspunkt sowohl des Verzuges als auch der Rechtshängigkeit. Daneben kann der Kläger Zahlung der von ihm mit der Anlage K 16 zutreffend berechneten Zinsen in Höhe von 974,95 € aus den für die Zeit vom 02. Juli 2009 bis zum 01. Mai 2011 fällig gewordenen Berufsunfähigkeitsrenten gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB verlangen.

Zu Unrecht verlangt der Kläger demgegenüber Zinsen aus einem 24.871,27 € überschreitenden Betrag von 25.158,95 €. Mit dieser Summe beziffert der Kläger die ihm vermeintlich zustehenden rückständigen Berufsunfähigkeitsrenten und die zurückzugewährenden Beiträge. Wie vorstehend im Einzelnen erläutert hat der Kläger insoweit aber nur Ansprüche in Höhe von 24.871,27 € (24.009,68 €+ 861,59 €), sodass auch nur aus diesem Betrag Zinsen geschuldet werden. Weil darin die zurückgeforderten Versicherungsbeiträge bereits Eingang gefunden haben, kommt auch eine weitergehende Verzinsungspflicht aus einem Betrag von 951,12 € nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 92 Abs. 2 ZPO, weil die Zuvielforderung verhältnismäßig geringfügig war und keine besonderen Kosten verursacht hat.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Einer Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bedarf es nicht, weil die Sache im Einklang mit einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs allein aufgrund ihrer tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Besonderheiten entschieden wird.

V.

Der Streitwert für die Berufung wird wie folgt festgesetzt:

bis 03. Mai 2011: 5.165,67 €

ab 04. Mai 2011: 60.169,37 €

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