LG Hamburg – Az.: 306 O 288/17 – Urteil vom 06.03.2020
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die versicherte Person C. K. 4.835,14 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.5.2017 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die versicherte Person C. K. Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 641,44 € fortlaufend ab dem 1.6.2017 zu Lebzeiten der versicherten Person C. K. für die Dauer bedingungsgemäßer mindestens 50%iger Berufsunfähigkeit und längstens bis zum 31.3.2021 monatlich im Voraus zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Klägerin seit dem 29.1.2016 von der Beitragszahlungspflicht für die Kapitallebensversicherung zur Versicherungsschein-Nr. … befreit ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
5. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf bis zu 50.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistung aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
Mit Beginn zum 1.4.1996 schlossen zunächst der Zeuge H. K. und die Beklagte eine Kapitallebensversicherung unter der Versicherungsscheinnummer … . Vertraglich eingeschlossen war zudem eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Als Ablauf der Versicherung ist der 1.4.2021 vereinbart. Der Versicherungsvertrag wurde in der Folge auf die Klägerin übertragen (vgl. Anlage K 8). Der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung liegen die besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BB-BUZ) zugrunde (vgl. Anlage K 1).
Die BB-BUZ lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Was ist versichert?
(1) Wird die versicherte Person während der Dauer dieser Zusatzversicherung zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig, so erbringen wir folgende Versicherungsleistungen:
a) volle Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für die Hauptversicherung und die eingeschlossenen Zusatzversicherungen;
b) Zahlung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente. Die Rente zahlen wir monatlich im Voraus. […]
§ 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
(1) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außer Stande ist, ihren zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Wir verzichten jedoch auf die Verweisung auf eine andere Tätigkeit, wenn die versicherte Person nach Vollendung des 55. Lebensjahres keine solche ausübt und auch nach einer zumutbaren Umorganisation ihres bisherigen Arbeitsplatzes bzw. Betriebes nicht ausüben könnte.
(2) Ist die versicherte Person 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande gewesen, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, so gilt die Fortdauer dieses Zustandes als Berufsunfähigkeit.“
Der Nachtrag zur Versicherungsurkunde gültig ab dem 1.11.2008 (Anlage K 1) sieht eine monatliche Beitragszahlung von 160,80 € sowie eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 597,44 € bei gleichzeitiger Beitragsbefreiung vor.
Mit Anpassungsnachtrag gültig ab dem 1.4.2017 (Anlage K 8) wurden monatliche Beitragszahlungen in Höhe von 275,95 € und eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 641,44 € unter Beitragsbefreiung vereinbart.
Versicherte Person ist Frau C. K.. Die am… 1961 geborene Versicherte ist ausgebildete Hotel- und Restaurantfachfrau. In diesem Beruf arbeitete sie bis zur Schließung des von ihr selbständig betriebenen Hotels mit Restaurant „Z. R.“ am 30.6.2007. In der Folge ging die Versicherte verschiedenen Hilfsarbeitertätigkeiten im Einzelhandel nach, seit dem 29.1.2016 arbeitet sie vollschichtig im Verkaufsshop einer Tankstelle.
Bereits in den Jahren 2001 (Anlage B 8), 2004 (Anlage B 12), 2006 (Anlage B 15) und 2009 (Anlage B 17) stellte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten Anträge auf Leistungen aufgrund einer Berufsunfähigkeit der versicherten Person. Die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin lehnte die Anträge jeweils ab (vgl. Anlagen B 5, 7, 9, 13, 16).
Mit Schreiben vom 17.9.2016 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente für die versicherte Person C. K. (vgl. Anlage K 2).
Auf den Antrag der Klägerin vom 17.9.2016 (Anlage K 2) hin erkannte die Beklagte mit Schreiben vom 23.1.2017 (Anlage K 3) die Leistungspflicht im Rahmen einer vorübergehenden Berufsunfähigkeit für den Zeitraum vom 1.8.2016 bis 1.1.2017 an. Unter dem 10.5.2017 lehnte die Beklagte eine weitere Leistungserbringung mit dem Hinweis darauf ab, dass die versicherte ab dem 7.12.2016 wieder eine Arbeit in Vollzeit aufgenommen hat (vgl. Anlage K 5).
Die Klägerin begehrt Versicherungsleistung für die Zeiträume 29.1.2016 bis 31.7.2016 (6 Monate) und 1.1.2017 bis 31.5.2017 (5 Monate) sowie fortlaufend ab dem 1.6.2017 nebst Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für die Hauptversicherung. Sie behauptet, dass die versicherte Person C. K. in diesen Zeiträumen berufsunfähig nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen war bzw. ist. Die versicherte Person C. K. leide unter einer mittelgradigen depressiven Episode nebst essentiellem Tremor. Die depressive Symptomatik zeige sich durch Erschöpfung, grübelnden Gedankengänge, Konzentrationsstörungen, psychophysische Minderbelastbarkeit und der Gefahr einer Dekompensation. Hinsichtlich der Frage der Berufsunfähigkeit sei auf die Tätigkeit der versicherten Person in gesunden Tagen, d.h. auf ihre Tätigkeit als Hotel- und Restaurantfachfrau abzustellen, die sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht habe fortführen können. Hierauf bezogen sei auch die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen worden. Die Arbeit in der Tankstelle sei unterqualifiziert und stelle eine überobligatorische, mit erhebliche Vermögenseinbußen verbundene und an sich unzumutbare Tätigkeit dar, da die versicherte Person hierdurch „Raubbau“ am eigenen Körper betreibe, wodurch sich ihr Gesundheitszustand noch weiter verschlechtere. Den Hotelbetrieb habe die versicherte Person aufgeben müssen, da die Beklagte Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung verweigert hat.
Mit Anwaltsschreiben vom 4.4.2017 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 30.4.2017 vergeblich zur Leistung auf (vgl. Anlage K 4).
Die Klägerin beziffert den Zahlungsanspruch (Klagantrag zu 1.) wie folgt:
– Rente: 11 Monate x 641,44 € = 7.055,84 €
– Beitragserstattung: 11 Monate x 259,65 € = 2.856,15 €
= 9.911,99 €
Die Klägerin hatte mit den Klaganträgen zu 1) und 2) aus der Klagschrift zunächst noch Zahlung an sich beantragt. Mit Schriftsatz vom 19.1.2018 hat sie die Anträge zu 1) und 2) dahingehend geändert, dass nunmehr Zahlung an die versicherte Person C. K. zu erfolgen hat. Den Antrag zu 2) hat die Klägerin insofern begrenzt, als Berufsunfähigkeitsrente nur bis zum 31.3.2021 zu zahlen ist. In der mündlichen Verhandlung vom 20.2.2018 hat die Klägerin den Antrag zu 2) noch dahingehend geändert, dass die Verurteilung für den Zeitraum der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit zu erfolgen hat.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die versicherte Person C. K. 9.911,99 € zu zahlen nebst Jahreszinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.5.2017,
2. die Beklagte zu verurteilen, die versicherte Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 641,44 € ab dem 1.6.2018 fortlaufend für den Zeitraum der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit, jeweils monatlich im Voraus, an die versicherte Person C. K. zu zahlen,
3. festzustellen, dass zugunsten der Klägerin seit dem 29.1.2016 eine volle Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für die Kapitallebensversicherung, Versicherungsschein-Nr. … besteht,
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin als Nebenforderung 887,03 € zu zahlen nebst Jahreszins in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet eine bestimmungsgemäße Berufsunfähigkeit aufgrund einer mittelgradig depressiven Episode, u.a. da die versicherte Person nach wie vor vollschichtig in einer Tankstelle arbeite. Die Beklagte ist der Auffassung, dass bei der Frage, welche Tätigkeit die versicherte Person vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit ausgeübt hat, auf die Arbeit in der Tankstelle abzustellen ist. Diese Arbeit habe die versicherte Person seit dem 7.12.2016 wieder vollschichtig aufgenommen. Auch sei es der versicherten Person möglich, eine andere ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit auszuüben, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Soweit die Klägerin hinsichtlich der von der versicherten Person bis zum 30.6.2007 ausgeübten Tätigkeit als Hotelfachfrau Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beantragt, wendet die Beklagte die Verjährung des Stammrechts ein. Hinsichtlich der Zeiträume 29.1.2016 bis 31.7.2016 und 1.1.2017 bis 31.5.2017 bestehe kein Feststellungsinteresse im Rahmen des Klagantrags zu 3), da die Klägerin mit dem Klagantrag zu 1) auch für diese Zeiträume Beitragsrückerstattung fordert.
Das Gericht hat die Zeugen C. K., H. K., U. K. und R. vernommen. Insofern wird auf die Terminsprotokolle vom 20.2.2018 und 19.11.2019 verwiesen. Des Weiteren hat das Gericht ein psychiatrisches Gutachten der Sachverständigen Dr. med. N. vom 3.5.2019 nebst ergänzender Stellungnahme vom 29.7.2019 eingeholt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist hinsichtlich des Klagantrags zu 3) teilweise unzulässig, im Übrigen zulässig und überwiegend begründet.
I.
Der Feststellungsantrag zu 3) ist insofern teilweise unzulässig, als hiermit auch Feststellung der Beitragsfreiheit hinsichtlich der Zeiträume 29.1.2016 bis 31.7.2016 und 1.1.2017 bis 31.5.2017 begehrt wird. Diese Zeiträume werden bereits durch den Klagantrag zu 1) abgedeckt, wonach die Klagforderung auch eine Beitragserstattung umfasst. Der Klägerin fehlt insofern das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
II.
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
1.
Dem Grunde nach kann die Klägerin von der Beklagten Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente an die versicherte Person C. K. nach § 1 BB-BUZ verlangen.
a)
Abzustellen ist zunächst auf die berufliche Tätigkeit der Versicherten als Hotel- und Restaurantfachfrau bis zum 30.6.2007, nicht hingegen auf ihre darauffolgende Tätigkeit als Hilfsarbeiterin in einem Verkaufsshop einer Tankstelle. Insofern bestimmt § 2 BB-BUZ als Voraussetzung eines Anspruchs auf Versicherungsleistung wegen Berufsunfähigkeit, dass die versicherte Person infolge von u.a. Krankheit voraussichtlich dauernd außerstande sein muss, ihren zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf auszuüben.
In einer der hiesigen vergleichbaren Konstellation führt der BGH (Urt. v. 14.12.2016 – IV ZR 527/15, m.w.N.) aus (vgl. dazu auch Lücke, Prölss/Martin, Versicherungsvertragsrecht, 29. Aufl. 2015, § 172 VVG Rn. 62):
„Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Prüfung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend, so wie sie „in gesunden Tagen“ ausgestaltet war, das heißt solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war […].
War ein Berufswechsel vor Eintritt des Versicherungsfalls ausschließlich leidensbedingt, bleibt Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit der vor diesem Wechsel ausgeübte Beruf […].
Der bedingungsgemäß festgelegte Grad von Berufsunfähigkeit, der erst einen Anspruch auf die zugesagten Leistungen gibt, orientiert sich nicht an einem fortlaufend absinkenden Leistungsniveau des Versicherten als Vergleichsmaßstab […].
Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist weder aus § 2 I BB-BUZ noch aus den Versicherungsbedingungen im Übrigen erkennbar, dass dieser Versicherungsschutz für seinen Beruf aus gesunden Tagen einer zeitlichen Grenze unterliegen könnte. Eine solche einschränkende Regelung fehlt in den Klauseln. Der Versicherungsnehmer kann daher bei verständiger Würdigung den Versicherungsbedingungen nicht entnehmen, ab wann eine gesundheitlich verminderte Leistungsfähigkeit und eine daran angepasste Berufstätigkeit im Weiteren zum versicherten Normalzustand werden könnte, weshalb zeitliche Grenzen nicht konstruiert werden können […].“
Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass die versicherte Person C. K. ihre Tätigkeit als Hotel- und Restaurantfachfrau leidensbedingt aufgeben musste. Die Zeugin C. K. hat detailliert und glaubhaft geschildert, aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen immer weniger dazu in der Lage gewesen zu sein, das Arbeitspensum in ihrem Betrieb zu bewältigen. (Erst) dadurch hätte sich die finanzielle Lage verschlechtert, und die Versicherte hätte den Betrieb letztlich im Jahr 2007 auf ihren ehemaligen Schwager, den Zeugen U. K., übertragen müssen. Dass die Zeugin den Betrieb aus einem anderen Grund aufgegeben hätte, ist nicht ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung hat sie nachvollziehbar u.a. geschildert, dass sie nicht gewollt hätte, dass es mit dem von ihren Eltern übernommenen Betrieb einmal so enden würde. Diese Angaben werden gestützt durch die glaubhaften Aussagen der Zeugen H. K., U. K. und R..
b)
Zur Überzeugung des Gerichts steht weiterhin fest, dass die Versicherte C. K. krankheitsbedingt seit Januar 2016 und voraussichtlich dauerhaft zu einem Grad von 50 % außerstande ist, ihren Beruf als Hotelfachfrau auszuüben.
Hierbei stützt sich das Gericht neben dem persönlich gewonnenen Eindruck der Versicherten und ihren Schilderungen in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen auf das nachvollziehbare und überzeugende und von den Parteien nicht weiter angegriffene Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme der Sachverständigen Dr. med. N., dessen Inhalt sich das Gericht nach kritischer Würdigung zu Eigen macht. Die Sachverständige kommt dort zu dem Ergebnis, dass bei der Versicherten eine Depression, mittelgradige Episode (ICD-10: F32.1) sowie ein Tremor (ICD:10: R25.1) vorliegt und zum Begutachtungszeitpunkt (jedenfalls) von einer Minderung der Berufsunfähigkeit von 50 % für einen Zeitraum von zwölf Monaten auszugehen ist. In ihrer ergänzenden Stellungnahme führt die Sachverständige weiterhin aus, dass die über den Zwölfmonatszeitraum hinausgehende Langzeitprognose Schwierigkeiten insofern begegnet, als einerseits eine Belastung der Versicherten in Form von Leistungs- und Anpassungsdruck sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken kann, anderseits eine weitere psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung zu einer weiteren Verbesserung der Symptomatik beitragen kann. Letztlich aber – und dies ist aus Sicht des Gerichts entscheidend – ist der Sachverständigen zufolge bei dem bisher chronischen Verlauf der depressiven Symptomatik nicht mit einer plötzlichen Stabilisierung zu rechnen. Insbesondere angesichts der deutlich herabgesetzten Anpassungsfähigkeit der Versicherten sei die Berufsfähigkeit als Hotelfachfrau im Umfang von 50 % auch nach Ablauf von zwölf Monaten als unwahrscheinlich anzusehen. Damit kann prognostisch nicht von einer gesundheitlichen Besserung zumindest bis zur Wiederherstellung der halben Arbeitskraft ausgegangen werden.
c)
Die Versicherte muss sich weiterhin nicht auf die damalige Möglichkeit einer Umorganisation ihres Gastronomiebetriebs verweisen lassen, denn eine solche wäre nicht zumutbar gewesen.
Das Organisations- und Direktionsrecht des Selbständigen als Teil seines Berufs bedingt zwar, dass dieser nicht schon dann als berufsunfähig angesehen werden kann, wenn er seine bisherige Tätigkeit in ihrer konkreten Gestaltung aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen bedingungsgemäß nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn es ihm nicht möglich ist, seine bisherige Tätigkeit und die seiner Mitarbeiter im Rahmen des bestehenden Betriebs so neu zu organisieren, dass ihm ein Tätigkeitsbereich verbleibt, den er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch in einem die Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfang verrichten kann (vgl. Mangen, Marlow/Spuhl, BeckOK VVG, 6. Ed., § 172 Rn. 15).
Die Versicherte und die übrigen Zeugen haben insofern aber glaubhaft geschildert, dass es sich bei dem Hotel mit Gaststätte „Z. R.“ um einen kleinen Familienbetrieb gehandelt hatte, der nur unter ineinandergreifender Zusammenarbeit der Versicherten und ihres damaligen Ehemannes am Laufen gehalten werden konnte. Bei Bedarf habe man auf die zumeist unentgeltliche Aushilfstätigkeit von Familienmitgliedern und Bekannten zurückgegriffen. Die Einstellung eines weiteren Mitarbeiters, der Tätigkeitsbereiche der Versicherten übernimmt, die diese aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr abdecken konnte, wäre mit dem betrieblichen Konzept eines familiär geführten Hotels mit Gaststätte auf dem Land nicht vereinbar und wirtschaftlich unzumutbar gewesen. Insofern ist auch zu bedenken, dass ein solcher Betrieb durch die jeweiligen Mitarbeiter besonders geprägt wird. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – die Tätigkeit wesentlich auch im Kontakt mit den Gästen bestand. Im Übrigen erforderte die Tätigkeit nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugen erhebliche Flexibilität, zumal je nach Auslastung des Hotels und Anstehen besonderer Feierlichkeiten die täglichen Arbeitszeiten der Versicherten sehr unterschiedlich waren und zum Teil von morgens 7:00 Uhr bis 2:00 Uhr nachts und darüber hinaus reichten, ohne dass regelmäßige und längere Pausenzeiten zur Verfügung gestanden hätten. Auch wies der Betrieb den Angaben der Zeugen zufolge ein breites Tätigkeitsspektrum auf, das teilweise – wie etwa das Rasenmähen des großen Grundstücks – nicht zum engeren Aufgabenkreis eines einzustellenden Gastronomiemitarbeiters gehört hätte. Unzumutbar wäre es ferner gewesen, in noch größerem Ausmaß auf die (unentgeltliche) Arbeitskraft von Familienmitgliedern und Bekannten zu setzen.
d)
Weiterhin muss sich die Versicherte nicht auf die Ausübung einer anderen Tätigkeit verweisen lassen, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.
Dies gilt zunächst konkret für die Tätigkeit der Versicherten als Tankstellenmitarbeiterin. Zwar mag die Versicherte aufgrund ihrer im Rahmen der Ausbildung und Tätigkeit als Hotelfachfrau erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten grundsätzlich dazu in der Lage sein, die Tätigkeit in der Tankstelle auszuüben. Allerdings scheidet hier eine Verweisung bereits deswegen aus, da die Versicherte mit Blick auf die erworbenen Fähigkeiten in ihrem neuen Beruf deutlich unterfordert ist (vgl. dazu Mangen BeckOK VVG, Marlow/Spuhl, 6. Ed., § 172 Rn. 66). Die Versicherte hat detailliert das jeweilige Aufgabenspektrum geschildert. Danach liegt es auf der Hand, dass die im Wesentlichen auf das Ausreichen und Kassieren von Waren gerichtete unselbstständige Tankstellentätigkeit, die nach eigener Kenntnis des Gerichts regelmäßig keine (spezifische) Ausbildung erfordert, vom Anforderungsprofil her weit unterhalb demjenigen eines selbstständig geführten Gastronomiebetriebs liegt. Darüber hinaus handelt es sich bei der Tankstellentätigkeit nicht um eine bedingungsgemäße Vergleichstätigkeit, da diese Arbeit nicht der bisherigen Lebensstellung der Versicherten in gesunden Tagen entspricht. Abgesehen davon, dass die Tankstellentätigkeit nicht ihrem vormals bestehenden sozialen Status als selbstständige Gastronomin entspricht, dürfte in dem Tätigkeitswechsel auch ein spürbarer wirtschaftlicher Abstieg gelegen haben. Dies zeigt sich bereits deutlich daran, dass die Versicherte leidensbedingt ihren Betrieb und seine Einrichtungen aufgeben und, wie sie der Sachverständigen Dr. med. N. geschildert hat, in eine Wohnung umziehen musste. Die Versicherte hat ferner angegeben, im Rahmen ihrer Tankstellentätigkeit ein Gehalt von ca. 1.230,00 € netto zu beziehen. Dagegen hätte sie um einiges mehr als Inhaberin des Hotelbetriebs verdient. Dies deckt sich auch mit den Angaben des Zeugen H. K. in dem als Anlage K 10 eingereichten Berufskundlichen Bericht vom 21.10.2011, wonach der Jahresumsatz des Betriebes in den „gesunden Zeiten“ der Jahre 1983 bis 2002 zwischen 100.000,00 € und 150.000,00 € gelegen habe.
Eine abstrakte Verweisung kommt weiterhin nicht in Betracht. Die Klägerin hat zunächst ihrer Darlegungslast genügt, indem die Versicherte in der mündlichen Verhandlung wie auch gegenüber der Sachverständigen Dr. N. summarisch vorgetragen hat, dass sie außer ihrer in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit als Hotelfachfrau auch keine anderen Tätigkeiten mehr verrichten kann, die auf Grund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden könnten und ihrer bisherigen Lebensstellung entsprächen, was aufgrund des Umstands, dass die Versicherte psychisch erkrankt ist, durchaus nachvollziehbar ist, zumal sich eine (aktivierte) Depression – anders als ggf. nur teilweise einschränkend wirkende körperliche Beschwerden – ständig und umfassend auswirkt. Die Beklagte ist dagegen ihrer (sekundären) Aufzeigelast nicht nachgekommen. Will der Versicherer abstrakt verweisen, ist es seine Sache, in Betracht kommende Vergleichsberufe aufzuzeigen. Diese muss er detailliert unter Darstellung der den Vergleichsberuf jeweils prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) näher konkretisieren (Mangen, Marlow/Spuhl, BeckOK VVG, 6. Ed., § 172 Rn. 63). Dies hat die Beklagte nicht getan.
e)
Der Anspruch auf Versicherungsleistung ist nicht – auch nicht mit Blick auf die Rechtsprechung des BGH zur Verjährung des Stammrechts (vgl. Urt. v. 3.4.2019 – IV ZR 90/18) – verjährt.
Die Verjährung von Ansprüchen aus einem Versicherungsvertrag beträgt drei Jahre (§ 195 BGB). Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person des Schuldners gekannt oder lediglich infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Unter der „Entstehung des Anspruchs“ ist nach Sinn und Zweck der Verjährungsregelungen der Zeitpunkt zu verstehen, ab dem der Gläubiger Klage auf sofortige Leistung erheben, also den Anspruch gerichtlich durchsetzen kann, den ihm der Schuldner verweigert. Die Verjährung beginnt also mit der Fälligkeit. Den subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns genügt auf Seiten des Versicherungsnehmers, wenn er den Sachverhalt in seinen Grundzügen kennt und weiß, dass erhebliche Anhaltspunkte für einen Anspruch bestehen (Rixecker, Langheid/Rixecker, Versicherungsvertragsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 15 Rn. 2 ff.).
Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf eine Berufsunfähigkeit der Versicherten aufgrund psychischer Leiden, konkret auf eine mittelgradige Depression (vgl. auch Anlagen K 2, 3, 5, 6), wohingegen die bisherigen Anträge auf Leistung einer Berufsunfähigkeitsrente ganz zentral auf physische Erkrankungen (insbesondere im orthopädischen und gynäkologischen Bereich) gestützt wurden (vgl. die medizinischen Gutachten und Befunde in den Anlagen K 20 bis 30 sowie die Leistungsablehnungen der Beklagten in den Anlagen B 5, 13, 16, die auf körperliche Beschwerden Bezug nehmen). Es liegen insofern voneinander unabhängige Versicherungsfälle vor, deren Verjährungsfristen sich unterschiedlich bemessen. Während der auf physische Leiden gestützte Gesamtanspruch in der Tat bereits verjährt sein dürfte, gilt dies für den vorliegend geltend gemachten Anspruch nicht. Nach den vorstehend aufgeführten Maßstäben ist der Anspruch der Klägerin in dem Moment fällig geworden, als die Beklagte mit Schreiben vom 10.5.2017 (vgl. Anlage K 5) eine weitere Leistungserbringung abgelehnt hat (vgl. § 14 VVG). Die Verjährungsfrist hat damit erst zum Schluss des Jahres 2017 zu laufen begonnen.
2.
a)
Der Höhe nach kann die Klägerin Leistung einer Berufsunfähigkeitsrente und Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für den Monat Juli 2016 sowie ab dem 1.1.2017 nach den jeweils vereinbarten Beträgen (vgl. Anlagen 1 und 8) beanspruchen.
§ 2 Abs. 2 BB-BUZ sieht eine sechsmonatige Karenzzeit für den Eintritt der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit vor. Unter der Maßgabe, dass bei der Versicherten ab Januar 2016 eine Krankheit im Sinne des § 2 Abs. 1 BB-BUZ vorlag, war Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen ab dem 1.7.2016 gegeben (insofern fehlerhaft die Berechnung der Beklagten in Anlage K 3). Die Beklagte hat eine vorübergehende fünfmonatige Berufsunfähigkeit ab dem 1.8.2016 bis einschließlich Dezember 2016 anerkannt (vgl. Anlage K 3), so dass dieser Zeitraum bereits erledigt ist.
Der mit Klagantrag zu 1) geltend gemachte Zahlungsanspruch der Klägerin ermittelt sich damit wie folgt:
Rente:
– 4 Monate (Juli 2016 sowie Januar bis März 2017, Anlage K 1) x 597,44 € = 2.389,76 €
– 2 Monate (April bis Mai 2017, Anlage K 8) x 641,44 € = 1.282,88 €
Beitragserstattung:
– 4 Monate (Juli 2016 sowie Januar bis März 2017, Anlage K 1) x 160,80 € = 643,20 €
– 2 Monate (April bis Mai 2017, Anlage K 8) x 259,65 € (gefordert) = 519,30 €
= 4.835,14 €
b)
Der Zahlungsanspruch ist (erst) ab dem 10.5.2017 gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 2 Nr. 3 BGB zu verzinsen (vgl. § 14 VVG sowie Anlage K 5).
3.
Die Klägerin kann von den Beklagten keine Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen. Die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten käme hier nur unter dem Gesichtspunkt des Verzugs in Betracht. Verzug lag zum Zeitpunkt des Anwaltsschreibens indes noch nicht vor. Vielmehr war die Geschäftsgebühr bereits entstanden, bevor die Beklagte in Verzug kam, und kann damit keine kausale Verzugsfolge darstellen.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1; 709 ZPO.
Berichtigungsbeschluss vom 24. März 2020
Tenor:
Das Urteil des Landgerichts Hamburg – Zivilkammer 6 – vom 06.03.2020 wird im Tatbestand (Seite 5, Klagantrag zu 2.) wie folgt berichtigt:
„2. die Beklagte zu verurteilen, die versicherte Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 641,44 € ab dem 1.6.2017 fortlaufend für den Zeitraum der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit, jeweils monatlich im Voraus, an die versicherte Person C. K. zu zahlen,“
Gründe:
Es liegt ein offensichtliches Schreibversehen vor, § 319 ZPO.